Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen, Beschluss vom 19.2.2016, A XVII 44/16

Der Wille eines Krankenhauspatienten mit fluktuierendem Krankheitsbild, der in einwilligungsfähigen Phasen entscheidet,  wie er für Tagesphasen gesichert (oder eben nicht gesichert) werden soll, in denen er die Risikolage nicht erfassen kann, geht jeder Betreuer- oder Richterentscheidung vor. Es kommt keine Entscheidung über den Kopf des Betroffenen hinweg in Betracht.

 

Diese Selbstbeschränkung seiner Mobilität, der er insbesondere auch für die verwirrten Phasen des Tages ausdrücklich zugestimmt hat, gilt auch für die Zeiträume in einem fluktuierenden Zustandsbild, in denen keine Einwilligungsfähigkeit gegeben ist.

 

Dies betrifft sowohl das Verbot von fixierenden Schutzmaßnahmen als auch deren Gestattung.

 

 

Der Betroffene befindet sich wegen der Behandlung eines hirnorganischen Psychosyndroms  freiwillig im Krankenhaus zur Behandlung. Wegen der körperlichen Verletzung besteht eine erhebliche Gesundheitsgefahr erneuter unbeabsichtigter Selbstverletzung, wenn der Betroffene ohne Begleitmaßnahmen aufstehen würde.

Die körperliche Genesung ist auch derzeit noch nicht weit genug fortgeschritten, dass es empfehlenswert wäre, wenn er eigenmächtig aufstehen sollte.

Das kognitive Zustandsbild verbessert sich laufend. Aktuell befindet er sich nach Einschätzung der Ärzte  in einem fluktuierenden Zustand,  der mitunter mehrfach am Tag wechselt.

In guten Tagesphasen ist er als einwilligungsfähig einzuschätzen, in schlechten Phasen kann er die Risikolage einer Selbstverletzung durch Sturz und seine körperliche Leistungsfähigkeit nicht einschätzen.

Der Betroffene hat nach aktuellem ärztlichen Eindruck und dem Ergebnis des richterlichen Eindrucks aus der Anhörung  zeitweise eigenverantwortlich freiwillig in Abwägung aller relevanten Aspekte bei allen damit verbundenen persönlichen Belastungen in die Fixierungsmaßnahmen eingewilligt und wird  als zeitweilig einwilligungsfähig erachtet, also in der Lage, die Tragweite einer solchen Entscheidung in eigener Verantwortung  abzuschätzen und nach eigenen Maßstäben ausreichend abzuwägen.

Er bestätigte wiederholt in einwilligungsfähigen Phasen  – auch in richterlicher Anhörung – sein Einverständnis mit der Anbringung des durchgehenden Bettgitters und des Gurtes im Rollstuhl und schien nach Eindruck der Ärzte und des Richters diese Risikolage zu verstehen, die mit einem unbegleiteten eigenmächtigen Aufstehen aus dem Bett oder Rollstuhl verbunden ist.

Dass der Betroffene in guten Phasen des flukturierenden Zustands in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden, steht für das Gericht außer Zweifel:

Der Begriff des freien Willens beinhaltet die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit nach dieser Einsicht zu handeln. Freie Willensbildung ist ausgeschlossen, wenn ein Betroffener nicht im Stande ist, seinen Willen unbeeinflusst von der vorliegenden psychischen Erkrankung zu bilden und danach zu handeln. Hierzu muss ein Betroffener in der Lage sein, seine Situation in ihren wesentlichen Grundzügen zu verstehen und eine Abwägung im Rahmen seines im Laufe des Lebens entwickelten Wertesystems zu treffen. Dazu muss der Betroffene die Folgen der Sicherung und ihren Zweck überschauen und evtl. auch erst später eintretende Folgen einer möglichen Verletzung antizipieren können. Ein Betroffener muss sich der Risikolage  bewusst sein und muss deren Folgen im Groben abschätzen können.

Und er muss auch eine Abwägung zwischen den Nachteilen der Einschränkung, eventuellen Nebenfolgen der Beschränkung und dem Risiko der Selbstverletzung vornehmen können. Dabei dürfen weder infolge der psychischen Erkrankung die kognitive Voraussetzungen der Erkenntnis und der Intentionsbildung beeinträchtigt sein, noch die motivationalen Voraussetzungen der Willensbildung verändert sein, indem durch die Erkrankung der Zugang zu Wertvorstellungen verstellt wird oder Wertgefüge oder affektive Grundlagen von Entscheidungsprozessen verformt werden.

 

Fluktuierend kann er diesen Abwägungsprozess aber auch mitunter für die Dauer einiger Stunden nicht vollziehen, sich an die Gründe, warum er fixiert werden soll, nicht erinnern. In diesen Phasen äußert er zwar keine ausdrückliche Forderung nach Entfernen der Maßnahme, zeigt aber durch sein Verhalten, insbesondere Aufstehbemühungen aus dem Stuhl, dass er in seinem natürlichen Fortbewegungswillen eingeschränkt wird.

 

Es kommt dennoch keine Entscheidung über den Kopf des Betroffenen hinweg in Betracht. Sein Wille, wie er für diese Tagesphasen gesichert (oder eben nicht gesichert) werden soll, geht jeder Betreuer- oder Richterentscheidung vor.

Der Betroffene hat hier seinen freien Willen gebildet. Der Betroffene hat sich in vollem Bewusstsein darüber, welches Risiko er mit einem Sturz aus dem Bett oder Stuhl eingeht, nach Information durch die Ärzte und Pfleger dafür entschieden,  die Selbstbeschränkungen seiner Mobilität auf sich zu nehmen. Diese Selbstbeschränkung, der er insbesondere auch für die verwirrten Phasen des Tages ausdrücklich zugestimmt hat, gilt auch für die Zeiträume in einem fluktuierenden Zustandsbild, in denen keine Einwilligungsfähigkeit gegeben ist.

Das Gericht ist  davon überzeugt, dass der Betroffene den Ernst der Situation erkannt hat, und sich freiwillig entschlossen hat, die Selbstbeschränkungen seiner Mobilität gerade für die Zeiträume, in denen er vor sich selbst geschützt werden soll, auf sich zu nehmen.  Mit seiner Zustimmung hat er von der Entscheidungsfreiheit über die seiner Disposition unterliegenden Rechtsgüter – über  Gesundheit und ihr Leben – Gebrauch gemacht und dies auch bewusst für Zeiträume des Tages, in denen der besondere Schutzbedarf auftritt.

Das Gericht ist nicht befugt, seine eigene, als für den Betroffenen sinnvoll empfundene Entscheidung an die Stelle des freien Willens des Betroffenen zu setzen. Es steht dem Gericht nicht zu, den zur freien Willensbildung fähigen Betroffenen vor sich selbst zu schützen, wenn er Dispositionen für Phasen des Tages trifft, in denen die aktuelle Entscheidungsfähigkeit mindestens zweifelhaft ist.

Dies betrifft sowohl das Verbot von Schutzmaßnahmen als auch deren Gestattung.

Sofern ein Betroffener im fluktuierenden Zustandsbild in einwilligungsfähigen Phasen Schutzmaßnahmen untersagt für die Dauer seiner schlechteren Tagesphasen, ergibt sich dies unmittelbar aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und   seiner Möglichkeit Anweisungen an Behandler durch Patientenverfügung zu regeln: Patientenverfügungen sind nach dem am 01.09.2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Patientenverfügung (3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts – BGBl I, S. 2286) verbindlich. Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt, ist diesen Festlegungen entsprechend zu verfahren. Dies muss auch für die Anwendung von vorübergehenden Schutzmaßnahmen während einer Krankenhausbehandlung gelten.

Im Umfang eines zeitlich überblickbaren Krankenhausaufenthalts mit flukturierenden Krankheitsbild wird man dies auch als ausreichende Rechtsgrundlage annehmen müssen, wenn der Patient genau für diese Phasen dem Arzt die körperlichen Begrenzungen ausdrücklich erlaubt, auch wenn dies in der Akutsituation dem offensichtlichen natürlichen Bewegungswillen nicht entspricht.

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