Am Donnerstag, den 15.3.2018 fand in der Campuskirche auf dem Gelände der katholischen Stiftungshochschule in München ein Fachtag zur Neuregelung der Genehmigungspflicht bei freiheitsentziehenden Maßnahmen für Kinder mit ca 250 Teilnehmern statt.
Die multiprofessionelle Informationsveranstaltung war über die verschiedenen beteiligten Personengruppen (Einrichtungsleitungen, Richter, Ärzte, Verfahrensbeistände, Jugendamtsmitarbeiter, Einrichtungsmitarbeiter und Eltern) sehr gut besetzt und hat so alle beteiligten Gruppen zur gemeinsamen Erörterung zusammen gebracht.
Ergebnis waren viele interessante und hochkarätige Beiträge und Diskussionsrunden und Gelegenheit zu anregenden Gesprächen.
Wir befassten uns mit den verschiedenen Facetten des neu geschaffenen gerichtlichen Genehmigungsverfahrens, aber auch den Vermeidungsmöglichkeiten von Beschränkungen.
Einrichtungsleitungen, Fachleute aus Pflegeberufen, Ärzte, Sachverständige, Familienrichter und Jugendamtsmitarbeiter und Verfahrensbeistände tauschten sich über die Anwendung der neuen Vorschrift aus und informierten sich.
Eröffnung
Frau Professor Giese begrüsste die Teilnehmer und Referenten im Namen der Hochschule und wies auf das hohe Schutzbedürfnis von Kindern hin.
Spiritueller Impuls
Thomas Hoffmann-Broy, KHG München
Begrüßung
Josef Wassermann, Dr. Sebastian Kirsch, Initiatoren Werdenfelser Weg
Vortrag Dr. Isabell Götz
Überblick über die Entstehung und Neuregelung
Der ganze Vortrag:
„Kinder sind mindestens so verletzlich wie Erwachsene“. Mit dieser Aussage forderte die Münchner Familienrichterin Isabell Götz einen besseren gesetzlichen Schutz von Kindern in geschlossenen Einrichtungen. Was für Erwachsene gilt sollte auch für Kinder gelten. Auch dank Ihrer Initiative wurde im Bereich des Kindschaftsrechts § 1361b Abs. 2 BGB und das gerichtliche Genehmigungsverfahren geschaffen.
Sie war bereits in der Vorbereitung der Gesetzgebung mehrfach fachlich und medial aufgetreten, nicht nur im Zusammenhang mit den Recherchen des Bayerischen Rundfunks sondern auch als Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags. Sie hat sich tief in die neue Materie eingearbeitet ausweislich des wohl ersten Fachaufsatzes dazu in der FamRZ.
Vortrag Prof. Götz
Sie verschaffte uns einen zentralen Überblick über die Entstehungsgeschichte, den bisherigen Stand der Diskussionen zu Einzelfragen und eine erste Übersicht über die Problemlagen.
Im Anschluss an diese Entscheidung des BGH vom 7.8.2013 wurde in der Literatur nachdrücklich ein eigener gesetzlicher Genehmigungsvorbehalt für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern gefordert.
Zunächst haben wir heute einen anderen Blick auf das Kind. Zahlreiche Verbesserungen in der rechtlichen Beurteilung der Position von Kindern in unserer Rechtsordnung haben in den vergangenne Jahrzehnten nach und nach die Person des Kindes gestärkt und in den Mittelpunkt gerückt und wir diskutieren jetzt über die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz. In der Konsequenz sei es geradezu zwingend, einen derart erheblichen Grundrechtseingriff wie eine freiheitsentziehende Maßnahme immer, also bei Erwachsenen wie bei Kindern, einem richterlichen Genehmigungsvorbehalt zu unterstellen.
Argumentiert wurde auch, dass dies erst recht bei Berücksichtigung der Tatsache gelte, dass freiheitsentziehende Maßnahmen mindestens so schwerwiegend und belastend sein können wie eine Unterbringung.
Die Diskussion um den Genehmigungsvorbehalt auch für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern habe deutlich Fahrt aufgenommen, nachdem u.a. der Bayerische Rundfunk über ein Heim für autistische Kinder berichtet hatte.
Katrin Adler
Eine betroffene Mutter erzählt
Der ganze Vortrag:
Katrin Adler aus München ist Mutter zweier Jungs – einer mit 17 Jahren mit Behinderung und herausforderndem Verhalten, der seit ein paar Jahren in einer Einrichtung lebt.
In einem höchst persönlichen Vortrag schilderte sie schwierige Situationen aus dem Leben ihres Sohnes, die in Selbstverletzungen mündeten. Sie berichtete, dass entscheidenden Durchbruch für ihr eigenes Verständnis gebracht habe, als ihr Sohn erstmals auf sein emotionales Alter eingeschätzt wurde.Die Diskussion der vergangenen Monate hätten ihr Bild über die Notwendigkeit von freiheitsentziehenden Maßnahmen bei Kindern mit Behinderung verändert. Bisher war sie immer der Meinung, es ginge nicht ohne freiheitsentziehende Maßnahmen– viele Diskussionen gab es danach zu Hause und mit anderen Betroffenen – wie soll es ohne freiheitsentziehende Maßnahmen denn funktionieren?!? Sie erzählte ihre ganz persönliche Sicht als betroffener Elternteil.
Dialog: Dr. Sebastian Kirsch, Garmisch-Partenkirchen/ Andreas Day, Verfahrenspfleger Braunschweig.
Entscheidungsabläufe nach § 1361 b Abs 2 BGB
Im Dialog zwischen einem Familienrichter und einem sehr erfahrenen Verfahrenspfleger und Verfahrensbeistand nach dem Werdenfelser Weg wurde dann Schritt für Schritt dargestellt werden, wie der Verfahrensablauf eines derartigen Genehmigungsverfahrens praktisch aussieht. Wer macht wann was ? Wer kommt wann in die Einrichtung ? Wo liegen die praktischen Vorteile ? Und in welchen Zeiträumen spielt sich das ab?
Andreas Day ist einer der erfahrensten Verfahrenspfleger nach dem Werdenfelser Weg im Erwachsenenbereich und zugleich als Verfahrensbeistand für Minderjährige tätig. Nach einer Heilpädagogischen Ausbildung studierte er Erziehungswissenschaften und soziale Arbeit mit dem Abschluss Diplom Sozialarbeiter und Diplom Sozialpädagoge und absolvierte eine Ausbildung zum zertifizierten Mediator bei der Rechtsanwaltskammer Celle. Neben Lehrtätigkeiten an Fach- und Fachhochschulen ist er Mitglied der Berufungskommission für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung des Landes Niedersachsen, Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen und Verfahrenspfleger in Unterbringungsangelegenheiten.
Dr. Kirsch gab nochmal einen Einblick in die Entscheidungskette, der die hohe Bedeutung der Eltern als erste Entscheidungsträger betonte. Erst wenn deren Zustimmung klar ist, kommt es zu einer gerichtlichen Genehmigungsprüfung. Herr Day erläuterte dann sehr praxisnah und anschaulich, in welchen Schritten er nach Auftragserteilung durch das Gericht dann vorgeht, wen er einbezieht, mit wem er Gespräche führt, bevor er seine Erkenntniss, häufig eine einvernehmliche Beurteilung mit den Beteiligten an das Gericht zurückmeldet. So wurde den Teilnehmern, denen die Vorgehensweise nach dem Werdenfelser Weg noch nicht geläufig war, versucht ein klares Bild über den Ablauf zu geben.
Vortrag Ralph Bärthlein, Claudia Singleton, Markus Rebmann
Freiheitsentziehende Maßnahmen bei jungen Menschen mit Behinderung Best practice – Alternativen zu Time-out
Der Vortrag befasst sich mit präventivem Handeln zur Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen in der stationären Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Er will als Best Practice-Beschreibung weg von der individuellen Zuschreibung von Verhalten, hin zur Beachtung interaktiver Prozesse und Kontextfaktoren.
Ralph Bärthlein, Pädagogischer Fachdienst Rummelsberger Dienste für Menschen mit Behinderung, Postbauer-Heng
Claudia Singleton, Pädagogischer Fachdienst Auhof in Hilpoltstein
Markus Rebmann, Heilerziehungspfleger im Kinder- und Jugendbereich Auhof, Hilpoltstein
Sie stellten sehr praxisorientiert ein Konzept zum Umgang mit Macht und Zwang im erzieherischen Alltag vor, insbesondere ein Konzept für einen „umfunktionierten“ Time-Out Raum, der bewusst „die grüne Oase“ heißt.
Sie stellten praxisnah die Überlegungen dar, auch um Praktiker/Einrichtungsleitungen zu motivieren eigene „Schutzkonzepte“ zu entwickeln.
Vortrag Prof. Dr. Michael Ganner, Universität Innsbruck
Thema 1: Freiheitsentziehende Maßnahmen in nicht altersgerechter Weise
Die österreichische Rechtslage
In der Neuregelung steckt der Passus „in nicht altersgerechter Weise“, für den es in der Bundesrepublik Deutschland noch keine tragfähige Auslegungsgrundlage gibt. Allerdings gibt es in Österreich zu einer parallelen Begrifflichkeit im Heimaufenthaltsgesetz Rechtsprechung und Auslegungsregeln, die uns in der Bundesrepublik Deutschland helfen könnten. „Alterstypische Freiheitsbeschränkungen“ sollen in Österreich von den Meldeverpflichtungen ausdrücklich ausgenommen sein (§ 3 Abs 1a HeimAufG idF 2. ErwSchG).
Prof. Ganner erläuterte anhand der österreichischen Rechtsstruktur die Abgrenzung, die sich an einer Zuordnung entweder zur elterlichen Erziehungsaufgabe oder zu einrichtungsbezogenen Anlässen orientiert. Die Unterschiede zur deutschen Systematik wurden in einer spannenden Diskussionsrunde herausgearbeitet.
Thema 2:Woran erkennt man, dass Medikamente feM sind?
Die österreichische Rechtslage
Der zweite Teil des Vortrags befasste sich mit dem Stand der Rechtsprechung zur medikamentösen Fixierung in Österreich. In Österreich wurde bereits vor Jahren ein erster Schritt gegangen, diese Maßnahmen aus einer Grauzone herauszuführen und in einen echten Entscheidungsprozess zu bringen.
In Österreich entwickelt sich eine Kasuistik, die in der Bundesrepublik Deutschland noch vermisst wird.
Prof. Dr. Michael Ganner
Institut für Zivilrecht, Universität Innsbruck
Dr. Clemens Stockklausner, Garmisch-Partenkirchen
Diskussion zum Thema Freiheitsentziehung im Kinderkrankenhaus
Dr. med. Clemens Stockklausner hat als Chefarzt der Fachabteilung Kinder- & Jugendmedizin im Klinikum Garmisch-Partenkirchen, eine Vielzahl von Entscheidungssituationen in die Publikumsdiskussion gebracht. Sehr anschaulich und orientiert am beruflichen Alltag in einem Kinderkrankenhaus warf er Fragen auf, wie beispielsweise:
Wo beginnt die Freiheitsentziehung bei einem Neugeborenen oder Frühchen, das im Inkubator liegen muss ? Gilt das als altersgerecht, obgleich für diese Lebenssituation keine Parallelsituation im Elternhaus definierbar ist ?
Oder greifen wir auch beim Neugeborenren durch räumliche Beschränkungen noch gar nicht in eine Fortbewegungsfreiheit ein ?
Wie aber ist es zu beurteilen, wenn in einer beatmungspflichtigen Situation eines Neugeborenen mit Sedativa verhindert werden muss, dass es seinen Bewegungsdrang auslebt und die Gefahr besteht, dass das Kind lebenswichtige Schläuche zieht?
Wie muss man die Situation eines knapp dreijährigen Kindes beurteilen, der vorübergehend ruhig gestellt werden muss, um durch Brandverletzung verlorene Haut zu ersetzen und ihn daran zu hindern, sich selbst die neue Haut abzuziehen?
Oder die Situation eines Kleinkindes, das an einem mobilen Beatmungssystem tagsüber zwar herumtollen kann mit ständiger Beaufsichtigung, für die Nacht aber räumlich in einem Gitterbett enger begrenzt werden muss, um den Kontakt zum Beatmungssystem nie zu verlieren? Mit seinen interaktiv diskutierten Beispielen zeigte er auf, welche Fragen sich im Setting eines Kinderkrankenhauses fast täglich in Bezug auf § 1631b Abs. 2 BGB ergeben.
Podiumsdiskussion
Freiheitsentziehung aus pädagogischen Gründen?
Die Diskussion hat sich mit der vom Gesetzgeber theoretisch ermöglichten Kategorie von freiheitsentziehenden Maßnahmen auseinander gesetzt, die nicht mit der Abwehr einer erheblichen Selbstgefährdung oder einer erheblichen Fremdgefährdung begründet werden, sondern verhaltenstherapeutisch oder pädagogisch diskutiert oder als notwendig erachtet werden könnten. Kann körperlicher Zwang in der Form der Freiheitsentziehung als pädagogisches Mittel in Frage kommen?
Kann ein Zimmereinschluss allein pädagogisch tragfähig begründet werden, wenn keine Selbst- oder Fremdgefährdung ansonsten im Raum steht?
Kann ein Time-Out-Raum ohne Gefährdungsanlass als zulässige pädagogische Maßnahme eingesetzt werden ?
Es diskutierten:
-Prof. Dr. Sabine Pankofer, Professorin für Psychologie in der Sozialen Arbeit, KSH München
-Lars Mückner, Familienrichter Amtsgericht Duisburg
-Andreas Day, Verfahrenspfleger Braunschweig
-Frank Woltmann, Dipl-Psychologe, Therapeutisches Zentrum Mädchenheim Gauting
– Stephan Märte, Leiter des Amtes für Kinder, Jugend und Familie, Garmisch-Partenkirchen
Moderation: Josef Wassermann, Dr. Sebastian Kirsch
Die Diskussion kam zu einer klaren Aussage: körperlicher Zwang in der Form der Freiheitsentziehung (Zimmereinschluss, Time Out) kann nie als pädagogisches Mittel in Frage kommen, es kann immer nur unter den Voraussetzungen einer erheblichen konkreten Gefahrenabwehr in Betracht gezogen werden.
Verabschiedung