Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen, Beschluss vom 25.05.2016, A XVII 398/13

 

Allein das Anbringen eines Sendearmbands, das beim Verlassen der Einrichtung Signal gibt, erlaubt noch keine rechtliche Beurteilung als freiheitsentziehende Maßnahme, entscheidend ist vielmehr, welche mit dem Betreuer abgesprochene Reaktion darauf erfolgt.

Auch wenn die Planung darauf hinausläuft, dass der Bewohner nur durch Überredung  dazu gebracht werden soll, umzukehren und in die Einrichtung zurückzukehren,  handelt es sich um eine genehmigungsbedürftige Maßnahme, wenn klar ist, dass der Bewohner in jedem Fall von der Fortsetzung seines Ausflugs abgehalten werden soll.

 

 

Beschluss: Die zeitweise oder regelmäßig erfolgende Freiheitsentziehung …   durch  Senderarmband, das beim Verlassen der Einrichtung Signal gibt, so dass der Betroffene zur Rückkehr in die Einrichtung bewegt werden kann,  wird bis längstens ….   genehmigt …..

 

Aus den Gründen:

Das Gericht hatte mit Beschluss vom 15.03.2016 bereits die geschlossene Unterbringung als  freiheitsentziehende Maßnahmen  bis 14.03.2018 in der bisherigen Einrichtung genehmigt. Durch Umzug in eine andere Einrichtung, die sowohl über offene  und gechlossene Wohnbereiche verfügt und in beiden Bereichen unterschiedliche Tagesbeschäftigungsangebote anbietet, ergeben sich neue Handlungsoptionen, die Freiheit teilweise wieder zu erweitern.

Grundsätzlich  besteht  unverändert die Gefahr, dass der Betreute sich tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, weil er weglaufgefährdet ist und aufgrund mangelnder Orientierung bzw. Verkehrssicherheit in seiner weit fortgeschrittenen Demenz erheblich gefährdet wäre.

Es soll aber die Möglichkeit geschaffen werden, dass auch ein nächtlicher, ggf. auch nach Eingewöhnung ganztägiger Aufenthalt im offenen Bereich der neuen Einrichtung stattfinden kann, dies durch Senderarmband, das Information gibt, wenn der Betroffen die Einrichtung verlässt.

Ob Personenortungsanlagen als freiheitsentziehende Maßnahme  einzustufen sind, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. In der Rechtsprechung verschiedener Amtsgerichte wird die Genehmigungsbedürftigkeit der Ausstattung des Betreuten mit einem Sendechip bejaht (AG Hannover, BtPrax 1992, 113; AG Bielefeld, BtPrax 1996, 232; AG Stuttgart-Bad Cannstadt, FamRZ 1997, 704). Das AG Hannover führt in seiner Entscheidung vom 5.5.1992 (BtPrax 1992, 113) zur Begründung aus, dass bereits die Ausstattung mit einem Sender den Betroffenen unmittelbar in seinem Recht auf Freiheit einschränke. Die Anlage ermögliche es nämlich den Mitarbeiten des Heims, neben ihrer persönlichen Wahrnehmung, durch Empfang der Funksignale festzustellen, dass ein mit einem Sender ausgestatteter Bewohner einen bestimmten Bereich der Station verlassen hat. Das AG Bielefeld stellt in einem Beschluss vom 16.9.1996 (BtPrax 1996, 232) die Zweckrichtung der Signalgebung in den Vordergrund, die darauf gerichtet ist, das Pflegepersonal in die Lage zu versetzen, den Betroffenen sofort nach Passieren der Außentür zur Rückkehr zu bewegen und in das Innere des Gebäudes zurück zu begleiten. Das AG Stuttgart-Bad Cannstadt räumt in der Entscheidung vom 26.11.1996 (FamRZ 1997, 704) zwar ein, dass der Sender selbst die Bewegungsfreiheit seines Trägers nicht einschränke, sondern hierzu zusätzliche Maßnahmen des Heimes erforderlich seien. Hieraus ergebe sich jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass deswegen lediglich die vom Heim getroffenen Vorkehrungen für den Fall des Alarms einer Prüfung nach § 1906 BGB zu unterziehen seien. Diese Betrachtungsweise würde einen zusammenhängenden Vorgang künstlich in zwei getrennte Teile spalten. Ohne den Sender seien vom Heim getroffene Vorkehrungen nicht denkbar. Der Sender mache ohne solche Vorkehrungen keinen Sinn. Daher sei beides im Zusammenhang zu betrachten. Es handele sich nicht um eine Maßnahme, die eine rechtlich bloß unbeachtliche Freiheitsbeschränkung darstelle. Im Alltag sei es auch nicht üblich, andere mit den technischen Hilfsmitteln zu überwachen, um ihren Ortswechsel zu unterbinden.

Dieser Beurteilung entgegen steht ein Großteil der veröffentlichten Literatur. Die Ausstattung mit einem Personenortungssystem bzw. einer Sendeanlage soll danach keine unterbringungsähnliche Maßnahme sein (Palandt-Diederichsen, § 1906, BGB, Rn. 20, Soergel-Dammrau, § 1906, BGB, Rn. 80; MüKo-Schwab, § 1906, Rn. 34; ausführlich zum Ganzen: Feuerabend, Zur Freiheitsentziehung durch so genannte Personenortungsanlagen, BtPrax 1999, 93 ff).

Das Gericht  neigt eher der zuletzt genannten Auffassung zu, nach der allein das Anbringen eines Sendearmband beim Betroffenen noch keine Beurteilung zur Klassifizierung als freiheitsentziehende Maßnahme i.S.v. § 1906 Abs. 4 BGB erlaubt, entscheidend ist vielmehr, welche mit dem Betreuer abgesprochene Reaktion darauf erfolgt.

Auszugehen ist hierbei zunächst vom Schutzzweck des Genehmigungsvorbehaltes, der darin liegt, die körperliche Bewegungs- und Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsbestimmungsfreiheit zu gewährleisten (BGH FamRZ 2001, 149). Die Ausstattung mit einer Sendeanlage, die es dem Pflegepersonal lediglich ermöglicht festzustellen, ob er das Heim verlässt, stellt noch keine Freiheitsentziehung dar. Dieses Mittel beschränkt die Fortbewegungsfreiheit des Betreuten für sich gesehen nicht. Denkbar ist insofern durchaus auch, dass die Anweisung im Einzelfall erfolgt, den Betroffene zu begleiten auf einem Spaziergang oder Kleidung zu prüfen bzw.  Uhrzeit zu notieren

Entscheidend hängt die Frage, ob die Freiheit entzogen wird, also von der Reaktion der Einrichtung in Absprache mit dem Betreuer ab, wenn der Betroffene den Bereich, in dem er sich aufhalten soll, verlässt.

Entgegen der Ansicht des Amtsgericht Hannover ergibt sich eine freiheitsentziehende Wirkung der Maßnahme nicht allein dadurch, dass durch den Sender die Möglichkeit zur Feststellung des Aufenthaltsortes der Bewohner besteht. Es handelt sich in diesem Aspekt vielmehr um eine bloße Beaufsichtigungsmaßnahme, für deren Zulässigkeit die Zustimmung des Betreuers ausreicht.

Auch wenn die Planung der Einrichtung darauf hinausläuft, dass der Bewohner nur auf der Basis seiner Überredung  dazu gebracht werden soll, umzukehren und in die Einrichtung zurückzukehren,  handelt es sich nach Auffassung des Gerichts vorliegend um eine genehmigungsbedürftige Maßnahme im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB, wenn klar ist, dass der Bewohner in jedem Fall von der Fortsetzung seines Ausflugs abgehalten werden soll.

Der Betroffene ist  dauerhaft, örtlich und zeitlich nicht mehr orientiert und würde – zudem in ortsfremder unvertrauter Umgebung –  nach einem Verlassen des Heims nicht selbständig zurückfinden. Ein Verlassen des Hauses ohne Begleitung wird nicht mehr möglich sein.

Der am Handgelenk des Betroffenen angebrachte Sender ist damit Teil eines Systems, das gewährleisten soll, den Betroffenen ausnahmslos am unbeaufsichtigten Verlassen des Heims zu hindern.  Alternativen beim Verlassen des Hauses durch den Betroffenen bestehen daher für das Pflegepersonal voraussichtlich nicht. In jedem Einzelfall stellt sich lediglich die Frage, ob der Betroffene allein durch eine entsprechende Bitte oder durch Überredung zur Rückkehr bewegt werden kann oder ob ein darüber hinausgehender Zwang erforderlich ist, der auch dann von § 1906 Abs. 4 BGB erfasst wird, wenn er keine körperliche Gewalt gegen den Betroffene erfordert (OLG Hamm vom 08.01.1997, 15 W 398/96, BtPrax 1997, 162). Kann letzteres nicht gänzlich ausgeschlossen werden, handelt es sich beim Anbringen des Senderarmbands und der dem Pflegepersonal vorgegebenen Reaktion auf das Verlassen des Heims durch den Bewohner um eine Maßnahme, die als Ganzes darauf ausgerichtet ist, der Betroffene über einen längeren Zeitraum die Freiheit zu entziehen (so im Ergebnis auch OLG Brandenburg vom 19.01.2006, 11 Wx 59/05, FamRZ 2006, 1481, wonach bei einem Personenortungssystem, das darauf gerichtet ist, notfalls durch Zwang am Verlassen des Hauses zu hindern, jedenfalls die möglicherweise erforderlich werdenden Zwangsmaßnahmen einer vorherigen gerichtlichen Genehmigung zu unterstellen sind; vgl. ferner Schwab in Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2002, § 1906 Rn 34 und OLG Hamm vom 22.06.1993, 15 W 145/93, BtPrax 1993, 172 zum Anbringen eines Bettgitters und Bauchgurtes im Rollstuhl).

Da der  Drang der Betroffenen, das Heim zu verlassen, nicht auf rationale Überlegungen bei dem Betroffenen zurückzuführen ist, kann zudem nicht mit der hierfür erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden, dass der Betroffene das Ziel mit einem Nachdruck verfolgt, dessen Überwindung mehr erfordert als das bereits genannte Bitten oder Überreden.

Die Ausstattung des Betroffenen mit dem Senderarmband entspricht andererseits  seinem Wohl und ist erforderlich, um eine erhebliche Gefahr von seiner Gesundheit abzuwenden, § 1906 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BGB. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt nicht vor. Vielmehr ist das verwendete technische Hilfsmittel als ergänzende Maßnahme geeignet und  erforderlich, um erhebliche Gefahren für en Betroffene durch  krankheitsbedingte Weglauftendenz abzuwenden.

Die weitere Entwicklung wird zeigen, ob dieses gegenüber der ganztägig geschlossenen Unterbringung mildere Mittel geeignet sein wird, eine geschlossen Unterbringung zu ersetzen.

Dass es dem Betroffenen möglich ist, trotz des Sendearmbands möglicherweise auch  unbemerkt von Gelände des Heimes zu entweichen, und Restrisiken dadurch nicht auszuschließen sind, beeinträchtigt ebenfalls nicht die Verhältnismäßigkeit. Die möglichen Gefährdungen des Betroffenen werden jedenfalls hierdurch deutlich reduziert bei deutlicher Erhöhung seines Aktionsradius auf weitere Teile des Hauses und des Gartens und Teilnahme an Aktivitäten im offenen Teil des Hauses. Der Umstand, dass keine vollkommene Überwachung erfolgt, ist im Lichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. der Menschenwürde des Betroffenen vielmehr als günstig zu beurteilen.

Der Betreute hat zur Zeit keine ausreichende Krankheitseinsicht; er ist zu keiner freien Willensbildung zumindest hinsichtlich der Entscheidungen im Zusammenhang mit der Erkrankung in der Lage. Er vermag auch die Notwendigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht zu erkennen.

Es ist daher erforderlich, zum Wohle des Betreuten die genannten Maßnahmen gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BGB zu genehmigen. Für das Gericht  steht auch außer Zweifel, dass der Einsatz dieses Systems bei dem Betroffenen erforderlich und die Handhabung durch das Personalallein von der Fürsorge für sein persönliches Wohlergehen getragen ist.

 

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