Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen- Beschluss vom 28.5.2019, Az.: A XVII 9/18

Az.:        A XVII 9/18

UL-Nr.: 100/18

In dem Verfahren für  …..

Es ergeht durch das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen durch den Richter am Amtsgericht Dr. Kirsch am 28.05.2019 folgender

Beschluss

Das Unterbringungsverfahren wird eingestellt.

Gründe:

Die 96 jährige Betroffene wird von einer  24-Stunden-Pflegekraft  ambulant zuhause in ihrer Eigentumswohnung, in der sie auch in den letzten Jahren gewohnt hatte, versorgt. Sie ist bettlägerig. Die Wohnung ist auch weiterhin überwiegend mit dem langjährigen Mobiliar der Betroffenen möbliert und zeigt den Charakter einer Privatwohnung, in die zusätzliche Pflegehilfsmittel aufgenommen sind.

Die 24- Stunden  Pflegekraft bewohnt eine abgeschlossene, räumlich getrennte Wohnung im Eigentum der Betroffenen im selben Gebäude.

Die Betroffene war seit ihrer Entlassung aus dem Klinikum Garmisch-Partenkirchen mehrfach aus dem Bett gefallen. Nach Rücksprache mit dem beruflichen Betreuer werden nachts und phasenweise auch tagsüber durchgehende Bettgitter beidseits hochgestellt.

Die Betroffene kann aufgrund einer dementiellen Erkrankung  ihren freien Willen dazu nicht mehr selbst bestimmen. Sie ist nicht mehr in der Lage, ihre Situation und die bestehenden Defizite realistisch einzuschätzen.

Die angewandte Maßnahme Anbringen eines Bettgitters ist genehmigungsfrei.

Freiheitsentziehende Maßnahmen sind nach dem Wortlaut des BGB nur genehmigungspflichtig, wenn sich der zu fixierende Mensch „in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung“  aufhält.

Maßnahmen im häuslichen Bereich schließt § 1906 Abs. 4 BGB im Hinblick auf eine zivilrechtliche Genehmigungspflicht grundsätzlich aus.

Mit Rücksicht auf den besonderen Schutz der Familie (Art. 6 GG) hatte der Gesetzgeber auf eine Legalisierung dieser Maßnahmen durch das Betreuungsgericht bei zu Hause lebenden Menschen verzichtet. Die Gesetzesfassung beruht hierzu auf einer Anregung des Bundesrates. Dieser wollte in seiner Stellungnahme zum RegE freiheitsbeschränkende Maßnahmen vom Erfordernis gerichtlicher Genehmigung ausnehmen, „sofern sie außerhalb von Einrichtungen wie Altenheimen pp im Rahmen einer Familienpflege erfolgen“, und schlug daher den jetzigen Wortlaut des Absatzes IV vor (BT-Drucks. 11/4528, S. 210, 209, vgl. hierzu die Darstellung bei Knittel, BtG, § 1906 BGB Rz. 39).

 Grund hierfür war, dass die Pflege durch nahe Angehörige einer gerichtlichen Kontrolle entzogen bleiben sollte, um das Pflegeverhältnis nicht zu destabilisieren und die Motivation der Familienmitglieder zur Übernahme der Pflege nicht zu gefährden (vgl. auch Erman/Holzhauer, BGB, 9. Aufl., § 1906 Rz. 53, sowie Knittel, § 1906 BGB Rz. 39). Anstalten, Heime und sonstige Einrichtungen sind vor allem Krankenhäuser, Abteilungen von Krankenhäusern, Kliniken, Sanatorien, Alten-Seniorenheime und Pflegeheime.

Das ist eine gesetzgeberische Grundentscheidung, die umstritten ist. Tatsächlich ist es nur schwer nachzuvollziehen, warum die gleiche Maßnahme in einer professionellen Einrichtung genehmigungspflichtig sein soll, im Rahmen der laienhaften Familienpflege aber nicht.

Grundsätzlich  ist diese Wertung des Gesetzgebers, der nur bei einem Aufenthalt in einer Anstalt, Heim oder sonstigen Einrichtung ein förmliches Genehmigungsverfahren anbietet, schwer nachvollziehbar. Die Gefahrenlage ist ja gerade in einer professionellen Heimumgebung  geringer.

Diese  Formulierung  wurde andererseits bei allen Überarbeitungen der Norm des § 1906 BGB in den letzten Jahren immer beibehalten und  – nun auch ins Familienrecht ganz neu übernommen  im Kindschaftsrecht in § 1631b BGB.

In Übereinstimmung mit Marschner (Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Das neue Betreuungsrecht, 4. Aufl., Rz. 516, und Knittel, BtG, § 1906 Rz. 40) ist der Begriff der Einrichtung vom Schutzzweck der Vorschrift her weit auszulegen. Hiervon sind auch Außenwohngruppen oder betreute Wohngruppen einer Einrichtung mit erfasst. Der Begriff „sonstige Einrichtung“ erfordert dennoch  einen institutionellen Rahmen, in dem der Betroffene  lebt.

Unter eine „sonstige Einrichtung“ fällt jedenfalls bei allgemeinem Verständnis nicht die Wohnung des Betreuten, der ausschließlich von seinen Familienangehörigen betreut wird (BayObLG, 04.09.2002 – 3 Z BR 132/02) .

Nach einer Entscheidung des  Landgerichts Hamburg Hamburg (BtE 1994/95, 136 = BtPrax 1995, 31; bestätigt durch OLG Hamburg, FamRZ 1995, 1019) sowie dem AmtsG Tempelhof-Kreuzberg (BtPrax 1998, 194, 195) soll jedoch unter den Begriff der sonstigen Einrichtung auch die eigene Wohnung eines Betroffenen fallen, wenn der institutionelle Rahmen vergleichbar einer Einrichtung gestaltet ist und die Wohnung selbst „nur noch eine Hülle“ ist (so auch Scholz/Glade, BeR, 1. Aufl., § 4, S. 105).  Daraus wird dann eben eine „sonstige Einrichtung“ abgeleitet.

Es wird damit argumentiert, dass sowohl in der privaten Wohnung als auch in einer Einrichtung Pflege häufig von Mitarbeitern/Angestellten, also Fremden durchgeführt wird, die nicht in der Einrichtung/Wohnung leben. Auch in einem Seniorenwohnheim oder einer Pflegeabteilung eines Wohnheimes mit eigenen abgeschlossenen Wohnungen leben Betroffene  jeweils häufig allein in seiner Wohnung.

Zudem wird damit argumentiert,  dass  der in seiner privaten  Wohnung lebende Betroffene  ohne eine Einbeziehung dieser Wohnsituation in den Begriff der sonstigen Einrichtung schlechter gestellt sei als ein  Heimbewohner, bei dem freiheitsentziehende Maßnahmen erst nach einem gerichtlichen Verfahren zulässig sind.  Entscheidend sei auf das Interesse vor ungerechtfertigten Freiheitsbeschränkungen abzustellen. Der Schutz gebiete daher diese weite Auslegung des Begriffs „sonstige Einrichtung“ in § 1906 IV BGB.

Der Normzweck wird zwar grundsätzlich eine weite Auslegung gebieten, auch wenn es sich um Privathaushalte handelt.  Der Wunsch und das Bedürfnis für eine weite Auslegung des Schutzzwecks erlaubt aber nicht, sich über den Wortlaut einer Vorschrift hinweg zu setzen.

Der Begriff „sonstige Einrichtung“ erfordert einen institutionellen Rahmen, in dem Betroffene leben. Der Gesetzgeber hat die Rechtsanwendung auf Einrichtungen beschränkt.

Das Charakteristikum einer Einrichtung im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB  ist, dass sie einen äußeren räumlichen Rahmen darstellt, in dem eine Versorgungsleistung angeboten wird und die in ihrer Grundkonstruktion darauf angelegt ist, mehrere  Personen mindestens nacheinander zu versorgen. Scheidet eine Person als Leistungsempfänger aus, tritt in der Regel eine andere Person an dessen Stelle. Dieser institutionelle Rahmen einer  Einrichtung gebietet die Normanwendung.

Das trifft auf die Versorgungssituation im privaten Umfeld nicht zu, insbesondere, wenn der Betroffene seit vielen Jahren diese Privatwohnung bewohnt und aufgrund seiner zunehmenden Pflegebedürftigkeit unterstützende Maßnahmen ergriffen werden.  In dieser Situation wird der Kerngedanke einer Institution nicht erfüllt, dass beispielsweise nach dem Tod des Betroffenen, dessen Platz innerhalb dieser Wohnung von einer anderen Person mit ähnlichem Pflegebedarf eingenommen wird. Darin unterscheidet sich die  Versorgungssituation grundlegend.

So ehrenwert es erscheint, den Begriff der Einrichtung zum Schutz der Betroffenen weit auszulegen und auf alle Situationen zu erstrecken, in denen professionelle ambulante Pflege tätig wird, so überschreitet diese Auslegung jedoch die bindenden gesetzgeberischen Vorgaben.

Wo keinerlei Einrichtungscharakter in der Versorgung in einer langjährigen Privatwohnung zu erkennen ist, bleibt auch kein Spielraum für eine derartige Auslegung. Es ist nicht Aufgabe der Richterschaft in der Gesetzesauslegung, Grenzen, die der Gesetzgeber begrifflich gezogen hat, zu überschreiten. Aber dem Gesetzgeber wäre es ein Leichtes, durch andere Gesetzesformulierungen die Türe für eine Erweiterung des Schutzzwecks zu öffnen. .

Die Aussage, dass damit zu Hause alles erlaubt sei, ist aber falsch. Auch hier müssen die Maßnahmen eine Rechtsgrundlage haben. Es bedarf nur nicht zusätzlich der richterlichen Genehmigung. Das heißt, ein Betreuer/Bevollmächtigter  muss existieren, der (genehmigungsfrei) über diese Maßnahme entscheidet und dafür die Verantwortung übernimmt.

Es gäbe auch die Möglichkeit, das Handeln des Vertreters nach § 1901 BGB zu prüfen, und hier können die Maßstäbe des § 1906 Abs. 4 BGB mittelbar einfließen.

Wenn ein Vertreter freiheitsentziehende Maßnahmen anordnet, für die es im Heim keine Genehmigung gäbe, handelt er nicht entsprechend den Interessen des Betroffenen. Die Kontrolle seines Handelns ist erforderlich, gegebenenfalls durch Bestellung eines anderen Vertreters.

Eine Möglichkeit zu Genehmigung des Einsatzes freiheitsentziehender Maßnahmen gibt es damit zwar nach dem Gesetz nicht, aber die Prüfungsdichte wäre ähnlich.

Dafür gäbe es vorliegend aber keinen Anlaß.

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