LG Frankfurt/M. -Beschluss v. 17.12.1992 – 2/9 T 994/92

Die Anbringung eines Therapietisches am Rollstuhl der Betroffenen bedarf als Freiheitsentziehung durch eine mechanische Vorrichtung der gerichtlichen Genehmigung, wenn die Maßnahme auch darauf abzielt, an der (Fort-)Bewegung zu hindern.

 

1906 IV BGB erfordert zunächst das Vorliegen einer freiheitsentziehenden Maßnahme. Dem Betreuer ist darin zuzustimmen, daß die von ihm und auch ärztlich für erforderlich gehaltene Maßnahme freiheitsentziehenden Charakter hat. Der Begriff der Freiheitsentziehung setzt zunächst voraus, daß diese ohne oder gegen den Willen des Betr. erfolgt (Jürgens/Kröger/ Marschner/Winterstein, Das neue Betreuungsrecht, 2. Aufl., Rz. 494).

Freiheitsentziehende Maßnahmen i. S. des § 1906 IV BGB liegen dann vor, wenn der Betr. eine Behinderung seiner Bewegungsfreiheit nicht mit zumutbaren Mitteln überwinden kann (MünchKomm/Schwab, BGB, 3. Aufl., § 1906 Rz. 23). Denn diese Vorschrift schützt das Rechtsgut der persönlichen Bewegungsfreiheit (Bienwald, Betreuungsrecht, § 1906 Rz. 63).

Entscheidend ist dabei nicht, ob der Betr. den aktuellen Willen zur Fortbewegung hat oder nicht; es genügt vielmehr, daß er sich aufgrund der Maßnahme nicht körperlich bewegen könnte, wenn er es wollte (MünchKomm/Schwab, § 1906 Rz. 23). Hieran gemessen ist im vorliegenden Fall eine Freiheitsentziehung anzunehmen, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese auch bei völliger Bewegungsunfähigkeit der Betr. zu bejahen wäre. Denn die Betr. kann zwar weder stehen noch gehen; sie bedarf auch zur Fortbewegung mit dem Rollstuhl fremder Hilfe und kann sich aus diesem nicht erheben.

Nach der zuverlässigen Darstellung der Verfahrenspflegerin könnte die Betr. sich jedoch in geringem Umfange nach vorne beugen und innerhalb des Stuhles bewegen. Hieran wird sie durch die körpernahe Anbringung des Therapietisches gehindert, so daß bereits aus diesem Grunde eine freiheitsentziehende Maßnahme vorliegt.

Diese bedarf der Genehmigung, wenn die Anbringung der Vorrichtung auch darauf abzielt, die Betr. an der (Fort-)Bewegung zu hindern. Wird hingegen nur ein therapeutischer Zweck verfolgt, so daß die Freiheitsentziehung nur eine in Kauf genommene Folge darstellt, fehlt es an der gesetzlich vorausgesetzten Finalität der Maßnahme.

Es ist im vorliegenden Falle nicht auszuschließen, daß durch die Anbringung des Tisches neben therapeutischen Zwecken auch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Betr. erreicht werden soll. Ihr Schutz vor dem Herausfallen oder -rutschen aus dem Rollstuhl erfordert es nämlich nicht, den Tisch so nahe an ihren Körper heranzuführen, daß sie im Rollstuhl fixiert ist. Diese Art der Anbringung könnte vielmehr auch der Erleichterung der Aufsicht dienen. Bestehen insoweit aber Zweifel, ist eine objektiv freiheitsentziehende Maßnahme genehmigungspflichtig (MünchKomm/Schwab, a.a.O., § 1906 Rz. 25).

Nach § 1906 I Ziff. 1, II BGB ist die freiheitsentziehende Maßnahme zum Wohle der Betr. zur Abwendung einer durch geistige Behinderung verursachten Selbstgefährdung nur zu genehmigen, soweit sie für die Betr. zumutbar und zur Abwendung der Gefahr des Herausfallens oder -rutschens aus dem Rollstuhl erforderlich ist. Wie bereits ausgeführt, ist dies zu verneinen, soweit die Betr. durch die körpernahe Anbringung des Therapietisches an jeglicher Bewegung gehindert und so im Rollstuhl fixiert wird.

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