LG Zweibrücken, Beschluss vom 07.06.2006, 3 S 43 / 06

Solange keine konkrete Zustimmung des Betreuers zu einer weitergehenden Fixierung vorliegt, muss angesichts der Würde der Patienten (Art. 1 GG) und dessen allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 GG) die Abwägung mit den Sicherheitserfordernissen dazu führen, die zur Gefahrenabwehr geeignete, den Patienten aber am wenigsten beeinträchtigende Fixierungsmaßnahme anzuwenden (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).

 

 

Die demenzkranke Betreute lebte im Pflegeheim. Die Betreuerin und Heimleitung streiten um die Zulässigkeit einer Fixierungsmaßnahme, insbesondere die Verwendung eines Bettgurtes mit zusätzlicher seitlicher Fixierung. Zuvor war die Betroffene mit einem einfachen Bauchgurt fixiert und mit einem Bettgitter gesichert worden. Diese Maßnahme hatte die Betreuerin genehmigt.

Die Betreuerin hat aber die Genehmigung der neuen Gurteinrichtung verweigert. Nachdem der Verfügungsbeklagte den neuen Gurt nicht entfernte, erwirkte die Verfügungsklägerin eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Z., durch welche dem Verfügungsbeklagten aufgegeben wurde, die Fixierung mittels zusätzlicher seitlicher Gurte zu unterlassen. …

Die zusätzliche Fixierung mit seitlich fixierten Stabilisatorengurten des Beckengurtes bzw. seitliche Stabilisatoren des Bauchgurtes widersprachen der von der Betreuerin als wirklichen oder mutmaßlichen Willen der Betroffenen geäußerten Entscheidung.

Die mit Hilfe einer mechanischen Vorrichtung durchgeführte Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff in dessen allgemeine Handlungsfreiheit sowie Fortbewegungsfreiheit dar, welcher deshalb der Einwilligung des Patienten bedarf. Eine gegen den erklärten Willen des Patienten gleichwohl durchgeführte Fixierung ist folglich eine rechtswidrige Handlung, deren Unterlassung der Patient analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB verlangen kann, denn das Recht des Patienten zur Bestimmung über seinen Körper macht Zwangsbehandlungen unzulässig (vgl. BGH Z 154, 205 = FamRZ 2003, 748 m.w.N.).

Der Betreuer ist in den Aufgabenkreisen, für die er zum Betreuer bestellt ist, der gesetzliche Vertreter des Betreuten (§ 1902 BGB). Daher gehört auch die Entscheidung, ob und inwieweit in die allgemeine Handlungsfreiheit und Fortbewegungsfreiheit der Klägerin eingegriffen werden darf, in die Entscheidungsbefugnis des Betreuers. Der Betreuer hat dem Willen der Klägerin in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Geltung zu verschaffen.

Die Anordnung der Betreuerin, die weitere Fixierung der Klägerin zu unterlassen bzw. deren Weigerung, für eine weitere Fixierung die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zu beantragen, war deshalb gegenüber dem Beklagten und dessen Pflegepersonal bindend. Eine eigene Prüfungskompetenz, ob und inwieweit die getroffene Entscheidung der von § 1901 Abs. 2-4 BGB normierten Pflichtenbindung gerecht wird, steht der Beklagten nicht zu. Sie ist insoweit – wie jeder andere Dritte auch – auf die Möglichkeit beschränkt, beim Vormundschaftsgericht eine Überprüfung des Betreuerhandelns mit dem Ziel aufsichtsrechtlicher Maßnahmen nach § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1837 Abs. 1-3, 1836 BGB anzuregen (vgl. BGH Z 163, Seite 195 m.w.N.).

Auch der mit der Klägerin geschlossene Heimvertrag berechtigt den Beklagten nicht, die zusätzliche Fixierung der Klägerin gegen den durch die Betreuerin verbindlich geäußerten Willen fortzusetzen. Zwar sind strafrechtliche Verbote, die an den Beklagten bzw. dessen Organe oder Personal gerichtet sind, für die Entscheidung des Falles von Bedeutung. Der Beklagte kann nämlich nicht zivilrechtlich zu einem Verhalten verurteilt werden, mit dem die Organe und Mitarbeiter des Beklagten Gefahr laufen würden, sich zu den Geboten des Strafrechts in Widerspruch zu setzen, sich also strafbar machen würden (vgl. BGH a. a. O.). In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die in der Berufungsbegründung genannten Todesfälle andere Fallgestaltungen betreffen, z. B. das Anbringen eines Bauchgurtes ohne Bettgitter oder mit gefährlichem Durchlass im Bettgitter, durch welchen ein Patient durchrutschen kann.

Zum Umfang der zu treffenden Schutzmaßnahmen für sturzgefährdete Heimbewohner nimmt die Kammer Bezug auf die Entscheidungen des BGH vom 28.04.2005 (III ZR 399/04) und vom 14.07.2005 (III ZR 391/04). Danach sind die Pflichten des Pflege-/Altenheims begrenzt auf die in solchen Heimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind (OLG München VersR 2004, 618f, LG Essen VersR 2000, 893). Maßstab müssen das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein (OLG Koblenz NJW-RR 2002, 867f). Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (vgl. nunmehr § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG i. d. F. vom 5. November 2001 BGBl. I S. 2970).

Jedenfalls solange keine konkrete Zustimmung des Betreuers zu einer weitergehenden Fixierung vorliegt, muss angesichts der Würde des Patienten (Artikel 1 GG) und dessen allgemeinen Freiheitsrechts (Artikel 2 GG) diese Abwägung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit dazu führen, die zur Gefahrenabwehr geeignete, den Patienten aber am wenigsten beeinträchtigende Fixierungsmaßnahme anzuwenden.

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