BGH, Beschluss vom 03.02.2016, XII ZB 317 / 15

 

Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden darf. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen.

Alkoholismus kann als psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB angesehen werden, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen, insbesondere einer psychischen Erkrankung, steht oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat. Deshalb kann die geschlossene Unterbringung zur Vermeidung einer erheblichen Selbstgefährdung auch dann genehmigt werden, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht.

 

BGH, Beschluss vom 03.02.2016, XII ZB 317 / 15

 

 

Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, so lange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.

Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden darf. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen, insbesondere einer psychischen Erkrankung, steht oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat.

Die Grundrechte eines psychisch Kranken schließen einen staatlichen Eingriff nicht aus, der ausschließlich den Zweck verfolgt, ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen und ihn zu seinem eigenen Wohl in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen. Die zivilrechtliche Unterbringung ist·– wie das Betreuungsrecht insgesamt·– ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist. Deshalb kann die geschlossene Unterbringung zur Vermeidung einer erheblichen Selbstgefährdung auch dann genehmigt werden, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht. Zwar steht es nach der Verfassung in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden.

Das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch gegenüber dem Gemeinwohl zukommt, darf aber nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Betroffenen bestimmt werden, sich frei zu entschließen. Mithin setzt eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Erkrankung voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BGH Beschluss vom 25. März 2015 – XII ZA 12/15·FamRZ 2015, 1017 Rn. 7 ff.).

Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens sowie der persönlichen Anhörung festgestellt, dass die Betroffene an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung leidet. Diese besteht bei einer hochgradigen Alkoholabhängigkeit in gravierenden Folgeschäden im Bereich des zentralen Nervensystems, nämlich einer äthyltoxisch bedingten Neuropathie und einem äthyltoxisch bedingten Kleinhirnschaden mit Einschränkungen von Auffassungsgabe, Konzentrations- und Merkfähigkeit.

Ferner hat das Beschwerdegericht gestützt auf das Sachverständigengutachten festgestellt, dass bei der Betroffenen ohne eine Unterbringung krankheitsbedingt ein alsbaldiger Rückfall zu erwarten ist, durch den sich die Erkrankung vollständig demenziell im Sinne eines Korsakow-Syndroms entwickeln und damit ein erheblicher Gesundheitsschaden im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB eintreten würde. Das Amtsgericht hat zudem festgestellt, dass die Betroffene außerhalb der geschlossenen Station in lebensbedrohliche Zustände gerät, indem sie die Nahrungsaufnahme einstellt und unkontrolliert exzessiv Alkohol konsumiert.

Die Rechtsbeschwerde dringt nicht mit der Rüge durch, es fehle an Feststellungen zum Fehlen des freien Willens. Das Landgericht hat dieses rechtliche Erfordernis gesehen und im angegriffenen Beschluss ausdrücklich angesprochen. Es hat bei seiner Entscheidung ersichtlich auf dem die Unterbringung genehmigenden Beschluss des Amtsgerichts aufgebaut. Das Vorliegen eines freien Willens hatte das Amtsgericht sachverständig beraten ausdrücklich verneint, wogegen im Übrigen auch die Rechtsbeschwerde nichts erinnert. Darüber hinaus hat der im Beschwerdeverfahren beauftragte Sachverständige in seinem vom Landgericht in Bezug genommenen Gutachten ausgeführt, dass es der Betroffenen an einer Krankheitseinsicht fehlt. Ohne eine solche ist aber eine freie Willensbestimmung mit Blick auf die Unterbringung nicht möglich (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2015·XII ZB 58/15·FamRZ 2015, 2158 Rn. 9).

Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung enthält die angegriffene Entscheidung ausreichende Feststellungen dazu, dass bei der Betroffenen ohne die Unterbringung eine unmittelbare Rückfallgefahr besteht.

Schließlich ist die Unterbringung auch verhältnismäßig. Der Beschluss des Amtsgerichts, auf dem die Beschwerdeentscheidung aufbaut, enthält die Feststellung, dass alle erdenklichen Versuche, der Betroffenen eine Heimunterbringung zu ersparen, gescheitert sind. …. Wenn Amts- und Landgericht bei dieser Sachlage die geschlossene Unterbringung der Betroffenen als einzige Möglichkeit ansehen, der erheblichen Selbstgefährdung zu begegnen, ist das rechtlich nicht zu beanstanden.

 

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